OneCoin und die Kryptoqueen: Hoffnung für die Opfer?

Ruja Ignatova soll sich bis zum 16. Dezember beim Königlichen Gerichtshof auf der Insel Guernsey melden. Bis dahin kann die selbsternannte “Kryptoqueen“ Einspruch dagegen erheben, dass gut elf Millionen Pfund von der Insel an die Staatsanwaltschaft Bielefeld überwiesen werden. Da es reichlich unwahrscheinlich ist, dass die meistgesuchte Frau des FBI den Ausflug auf die Kanalinsel unternehmen wird, steigen die Chancen, dass OneCoin-Opfer in Deutschland doch noch eine Entschädigung bekommen können.

Das Gericht auf Guernsey wird am 13. Januar entscheiden, ob die „Royal Bank of Scotland“ die knapp neun Millionen britische Pfund oder zehn Millionen Euro an die Staatsanwaltschaft Bielefeld weiterleiten muss. Das Geld stammt aus dem Verkauf der Luxuswohnung im Londoner Stadtteil Kensington, die Ignatova im Frühjahr 2016 zusammen mit einer kleineren Wohnung für ihre Leibwächter im Abbots House gekauft hatte.

Ignatova, die zusammen mit ihrem Bruder Konstantin in Schramberg aufgewachsen ist, hatte zwischen 2014 und 2017 mit der Schwindelwährung OneCoin Millionen Menschen weltweit um ihr Erspartes gebracht, Bis zu 20 Milliarden Euro sollen die Betrüger weltweit abkassiert haben. Wie die BBC berichtet, habe das Gericht auf Guernsey Ignatova bis zum 16. Dezember Zeit eingeräumt, um Widerspruch gegen den Beschlagnahmebeschluss einzulegen.

Staatsanwaltschaft hofft auf Millionen für die deutschen Opfer

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hatte das Beschlagnahmeverfahren eingeleitet. Das Penthouse und die Wohnung für die Leibwächter war im Jahr 2024 versteigert worden.

Staatsanwalt Carsten Novak hat die Meldung gerne zur Kenntnis genommen, will aber dennoch erst die Entscheidung im Januar abwarten: „Man soll bekanntlich das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist“, meint er im Gespräch mit der NRWZ.

Über Briefkastenfirmen, die einst Ignatova gehört hatten, waren die beiden Londoner Immobilien für zehn und 1,4 Millionen Pfund verkauft worden, wie Novak der BBC bestätigte. Im Mai 2024 waren allerdings nur noch 8,8 Millionen Pfund auf den Konten. Der Rest sei für Gebühren, Steuern und anderer Kosten schon abgeflossen. Dennoch blieben etwa 10 Millionen Euro, die man an die deutschen OneCoin-Opfer verteilen könnte.

Ignatovas ehemaliges Penthouse. Aus einer immobilienanzeige. Archiv: him

Das Münsteraner Verfahren und das Penthouse

Als Ignatova die Wohnungen im Frühjahr 2016 im Londoner Nobelviertel gekauft hat, war der Münchner Rechtsanwalt Martin B. mutmaßlich involviert. Nach einem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Münster soll B. die damals nötigen 20 Millionen Euro für den Kauf nach London gebracht haben. Daher die Anklage wegen Geldwäsche. Unter anderem dafür hat ihn das Landgericht im Januar 2024 zu einer Haftstrafe von zwei Jahre und neun Monaten wegen leichtfertiger Geldwäsche verurteilt.

Die beiden Mitangeklagten Frank R. und Manon H. aus Greven erhielten wegen Beihilfe zum Betrug und anderer Delikte eine Strafe von fünf beziehungsweise vier Jahren. Sie sollen über ihre Firma International Marketing Services (IMS) 320 Millionen Euro von etwa 60.000 Kunden aus Deutschland eingenommen und auf andere Konten des OneCoin- Imperiums weitergeleitet haben. Das Ganze lief von Ende 2015 bis Mitte 2016 erst über eine kleinere Sparkasse, dann über die Commerzbank und schließlich die Deutsche Bank in Münster.

Aus den IMS Unterlagen. Archiv: es

Weitere 29 Millionen gesichert

Bei der Deutschen Bank, so Novak zur NRWZ, habe man ursprünglich gut 41 Millionen Euro sichergestellt. Davon stünden noch etwa 29 Millionen Euro zum Verteilen zur Verfügung.

Allerdings: Die drei Angeklagten hatten nach ihrer Verurteilung Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Ein solches Verfahren dauert, denn erst muss die Bundesanwaltschaft prüfen, ob die Revision vom BGH angenommen wird. Das ist inzwischen erfolgt. „Seit diesem Sommer liegt das Verfahren beim BGH“, so eine Sprecherin zur NRWZ. „Der Senat hat aber noch nicht entschieden.“

Verteilung kann kompliziert werden

Staatsanwalt Novak hofft schließlich noch auf eine weitere gute Million, die von einem der Angeklagten eingezogen werden soll. Die Verteilung der Gelder an die Opfer organisiert, wenn es denn mal so weit ist, eine Rechtspflegerin.

Wahrscheinlich über den Bundesanzeiger würde die Rechtspflegerin die Berechtigten auffordern, ihre Ansprüche geltend zu machen. Besonders gute Chancen hätten diejenigen, die bereits im Münsteraner Verfahren aktenkundig geworden seien, so Novak. Bei diesen sei klar, dass sie Opfer seien.

Was geschah am 25. Oktober 2017?

Aber zunächst heißt es Warten. Warten darauf, ob Ruja Ignatova nicht doch auf Guernsey auftaucht. Eher unwahrscheinlich, denn seit dem 25. Oktober 2017 ist sie wie vom Erdboden verschluckt. Auch die fünf Millionen Dollar, die das FBI für Hinweise ausgelobt hat, haben keine Spur von ihr erbracht. Was ist genau an diesem 25. Oktober geschehen?

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FBI Fahndungsplakat.

Konstantin Ignatovs Aussage

Die bisher bekannte Geschichte hat Konstantin Ignatov, Ignatovas jüngerer Bruder und zu dieser Zeit ihr persönlicher Assistent im November 2019 erzählt. Als Zeuge der Anklage berichtete Ignatov den Geschworenen im Verfahren gegen denn OneCoin-Geldwäscher Mark Scott in New York: Ruja habe ihn aufgefordert, zwei Flugtickets zu kaufen. Eines von Sofia nach Wien und eines nach Athen. Ungewöhnlicherweise sollte er bei Ryan-Air buchen.

Ruja sei mit einem Leibwächter, aber ohne Gepäck am frühen Morgen mit Flug FR6300 nach Athen geflogen. Der Leibwächter sei zurückgekommen und habe ihm erzählt, seine Schwester sei am Flugplatz von mehreren russisch sprechenden Männern in Empfang genommen worden und mit diesen weitergereist, so Ignatov am 6. November 2019. Mehr wisse er nicht.

Gerichtsprotokoll vom 6. November 2016 mit Ignatovs Aussage.

Frank Schneiders Version

Diese Geschichte hat Ignatovas damaliger Sicherheitschef, der ehemalige Chief of Operations des Luxemburger Geheimdienstes, Frank Schneider gegenüber Medienvertretern bestätigt und weitergesponnen. Schneider erzählt in der ARTE-Doku „Die Kryptoqueen“, er habe mit Ignatova in der Zeit zwischen der Landung in Athen und ihrem endgültigen Abtauchen noch in derselben Nacht Kontakt gehabt. Sie habe ihm per Sprachnachricht erzählt, sie sei in Thessaloniki einkaufen gegangen.

Dann sei sie mit einem Auto Richtung „Grüne Grenze“ zu Bulgarien gefahren worden. Die Unterhaltung habe immer auf Deutsch stattgefunden. Erst nach dem Grenzübertritt habe sie sich noch einmal gemeldet und „Home again“  also „wieder zuhause“ geschrieben, wundert sich Schneider in der Doku vielsagend.

Zwei prominenten OneCoin-Kenner hegen Zweifel

Ob das so war? Ob Ruja tatsächlich nach Athen geflogen ist? Zwei Kenner der Szene haben inzwischen erhebliche Zweifel. Duncan Arthur war ein enger Mitarbeiter von Konstantin Ignatov nach dem Verschwinden seiner Schwester. Er war bei OneCoin für die Verkaufsplattform DealShaker verantwortlich. Auch der Londoner Rechtsanwalt und OneCoin-Rechercheur Jonathan Levy mag nicht an die Geschichte glauben.

Duncan Arthur und Konstantin Ignatov. auf einer Werbung für eine OneCoin-Veranstaltung in Duba Ende März 2019. Da saß Ignatov bereits fast zwei Monate in einem US-Gefängnis. Archiv: him

Duncan Arthur: Sie ist nicht geflogen

Arthur glaubt nicht, dass Ignatova damals Bulgarien verlassen hat. „Ich vermute, sie ist irgendwo ganz gezielt und ziemlich in der Nähe abgetaucht“, schreibt er in einer Mail an die NRWZ („I don’t think she left Bulgaria! I reckon she retreated somewhere quite local and planned!“)

Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im OneCoin-Büro in Sofia hätten die Geschichte damals nicht geglaubt. In einem solchen Flugzeug säßen mehr als hundert Leute. „Und niemand erinnert sich daran, eines der bekanntesten Gesichter Sofias gesehen zu haben“, wundert sich Arthur. „Und das war Ryan-Air, da würde sie doch auffallen.“ („Nobody remembers one of Sofia’s most recognisable faces being there. And this Ryanair. She would stand-out.“)

Keine Überwachungsfotos, zweifelhafte Zeugen

Arthur weist außerdem darauf hin, dass es an den drei Flughäfen in Sofia, Athen und Thessaloniki Überwachungskameras gegeben habe – aber es gebe keine Aufnahmen von ihr und dem Leibwächter.

Schließlich weist Arthur auf die beiden einzigen „Zeugen“ und deren Glaubwürdigkeit hin. Ignatov hat im Scott-Prozess nachweislich zwei Mal die Unwahrheit gesagt.

Schneider als ehemaliger Geheimdienstmann weiß, wie man eine Legende strickt. Und jemanden verschwinden lassen kann. Das beste Beispiel ist er selbst: Trotz elektronischer Fußfessel gelang es ihm bekanntlich im Mai 2023 spurlos aus seinem Haus in Nordfrankreich zu verschwinden.

Saß Ruja Ignatova tatsächlich im Flieger? Foto: him

Der Bielefelder Staatsanwalt Novak bestätigt, dass die deutschen Behörden wohl keine Überwachungsaufnahmen von Ruja Ignatova an den Flughäfen haben. Er hat dafür aber eine Erklärung: Bei ihrem Verschwinden seien die Ermittlungen zu OneCoin noch ganz am Anfang gestanden.

Als man zwei Jahre später den Verdacht erhärtet hatte, dass OneCoin ein Betrugssystem ist, habe man noch versucht, in Griechenland an Aufnahmen zu kommen. Diese seien da aber wohl schon gelöscht gewesen. „Wir haben keine Daten mehr aus Griechenland erhalten.“

Levi: Von Griechenland nach Dubai?

Anwalt Jonathan Levy, der sich schon seit Jahren mit OneCoin befasst und Dokumente unter anderem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ans Licht gebracht hat, glaubt, Ignatova lebt. Er schreibt in einer Mail an die NRWZ, es sei „sehr wahrscheinlich, dass sie nicht tot ist, sondern möglicherweise damals in Griechenland geblieben ist“. Er sei gerade in Griechenland gewesen, um einige Spuren zu verfolgen.

Für die These, sie sei über Griechenland nach Bulgarien zurückgekehrt, gebe es einzig die Aussage des geflüchteten Frank Schneider. „Ich vermute“, schreibt Levy, „sie ist direkt nach Piräus gereist, an Bord einer privaten Yacht gegangen und auf eine der griechischen Inseln gefahren. Dort hat sie sich eine Weile versteckt und ist dann irgendwie mit einem gefälschten, möglicherweise griechischen Pass in die Vereinigten Arabischen Emirate oder einen anderen Golfstaat weiter geflohen.“ In Piraeus war auch die Firma zu Hause, die Ignatova die Yacht Davina verkauft hat.

Frank Scheider in jüngeren Jahren. Foto: Archiv him

Ignatova und Schneider hätten die Möglichkeit gehabt, „Double zu nutzen“, schreibt Levy : Schneider sei ein ziemlicher “escape artist“ oder  „Abtauch-Künstler“, wenn man sein eigenes Untertauchen aus der Überwachung und sein andauerndes Verschwinden im Betracht ziehe. („My guess is she headed straight to Piraeus and boarded a private yacht for one of the Greek Islands, from there she laid low and then made it to UAE or one of the Gulf nations on a false passport, possibly Greek. Ruja and Schneider also has the ability to use doubles we know. Schneider is quite the „escape artist“ given his disappearence from custody and continued status on the run.“)

Ob OneCoin, OneLife oder OneEcoSystem: es geht einfach weiter

Im Februar hatte sich Levy darüber beklagt, dass in Bulgarien praktisch nichts unternommen werde, um OneCoin das Handwerk zu legen: „ONE ist ein kompletter Betrug, aber die bulgarische Regierung erlaubt, das ONE weiter besteht und sich sogar vergrößert“, schrieb Levy („ONE is a complete hoax yet the Bulgaria government allows it to persist and multiply.”)

Und tatsächlich, monatlich erscheinen Newsletter, in denen die ONE-Organisation große Ankündigungen macht. Den Namen hat Ignatovas Firma ein paar Mal geändert: von „OneCoin“ über „OneLife“ zu „OneEcosystem“, der Inhalt ist gleich geblieben. Im jüngsten Newsletter tauchen vier Untermarken auf: OneVita, eine Kosmetiklinie, die OneAcademy, die Wohltätigkeitsorganisation OneCharity und der „Dealshaker“. Nicht mehr dabei, das Reiseportal OneVoyage, das war wohl ein Flopp.

Aus dem OneEcosystem Newsletter.

Der Dealshaker: manipulierte Zahlen

Besonders eifrig bewerben die OneCoin-Leute den Dealshaker, die Handelsplattform, die Duncan Arthur für Ignatova ins Laufen bringen sollte. Beim DealShaker werde die Zahl der registrierten Händler „definitiv manipuliert“, ist ein langjähriger OneCoin-Kenner überzeugt.

Die aktuelle Besucherstatistik weise fast 90 Prozent aller Besucher von Russland aus. Das könne nicht stimmen, schreibt er: „Ich selbst habe auf Dealshaker noch nie ein Angebot aus Russland gesehen.“ Er vermutet, da würden einige Menschen in Russland die Seite immer wieder aufrufen, um die Statistik zu schönen.  Es falle auch auf, dass in der Besucherstatistik keine europäischen Länder mehr auftauchen.

Archiv: es

Erstaunlich auch: Seit dem Abgang von Ventsislav Zlatkov im Februar 2025 hat OneEcosystem keinen Chef mehr. Wer zieht jetzt die Fäden im Hintergrund?

Konstantin Ignatov als bulgarischer Promi

Wer wissen möchte, wie es in dem Penthouse in Kensington so war, der müsste Konstantin Ignatov fragen. Seit seiner Entlassung aus US-Haft lebt er bekanntlich wieder in Sofia. Er ist der Einzige aus der Familie, von dem ein Bild im Kensingtoner Penthouse existiert: Ein Selfie, das er am 20. Juli 2018 auf Instagram veröffentlicht hat. Da sitzt er vor einem Regal. BBC-Experten haben das Bild anhand des Regals hinter ihm eindeutig dem Penthouse zuordnen können.

Ein Insta-post von Konstantin Ignatov
klar zu erkennen, ein Würfelornament im Regal. Foto aus einem Immobilienprospekt. Archiv: him

Seit seiner Rückkehr nach Bulgarien versichert er, er habe gänzlich mit OneCoin und allem, was dazu gehört, gebrochen. In einer Mail an die NRWZ schreibt er im November 2025 auf die Frage, wie er sich erkläre, dass OneCoin in Bulgarien einfach so weiter existiere: „Da habe ich keine Ahnung, wer wo was macht.“

Damit will er nichts mehr zu tun haben, das verkündet Ignatov in Büchern, Talkshows, Podcasts, in denen er in Bulgarien sehr präsent ist. Natürlich wegen seiner Verbindungen und seiner Vergangenheit. Vor wenigen Tagen moderierte er in einem vornehmen Club in Sofia eine V.I.P. Gala. Das Magazin Fakti .bg schrieb in der Ankündigung: „Konstantin Ignatov, der Bruder der bekannten, vermissten Krypto-Königin Ruzha Ignatova, moderiert die neunte Ausgabe der renommierten VIP Awards 2025.“

Ankündigung für VIP-Awards 2025

Nach einem ausführlichen Austausch im Herbst hat er vor ein paar Tagen den Kontakt abgebrochen. Die NRWZ hatte ihm den Link zu einem Trailer für die ZDF-Serie „Take the Money and Run“ geschickt.

Seine erste Reaktion: „Was ich gesehen habe, ist ein Trauerspiel.“ Das ZDF habe nicht umsonst nur den Namen seiner Schwester beibehalten und die anderen geändert. „Sonst würden die Klagen nur so ins Haus flattern.“

Nach einer weiteren, eher lustig gemeinten Mail mit einer KI-generierten Ruja Ignatova, hat sich ihr Bruder virtuell verabschiedet. Weil sich ja doch immer alles „um das eine“ drehe: „So goat des gschpräch holt da Bach na. Machet ses guat😊“ Schramberg ist im jedenfalls im Gedächtnis geblieben.

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... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.
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