Nach Raubüberfall auf Bäckerei: Junger Mann aus Afghanistan vor Gericht

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Justizwachtmeister im Gerichtsgebäude in Rottweil. Symbol-Foto: Peter Arnegger

Die Tat geschah vor rund einem halben Jahr: Am 31. Mai 2025 überfiel ein zunächst Unbekannter eine Bäckereifiliale im „Kaufland“ Rottweil. Für die Tat muss sich nun ein 22-jähriger Afghane verantworten, der in Rottweil wohnt. Ihm wird vor dem Landgericht der Prozess gemacht. Es ist ein junger Mann, der gut Deutsch spricht und der an sich gar nicht wie der aggressive Messermann rüberkommt, den man angesichts der Anklage erwarten könnte. Vor Gericht ist er geständig. Eines seiner Opfer, eine 34-Jährige, ist bis heute traumatisiert.

Rückblick: An jenem Samstagabend hat ein mit einem Messer bewaffneter Mann eine Bäckereifiliale im Kaufland im Gewerbegebiet Saline überfallen. So berichtete die Polizei seinerzeit: „Gegen 21.10 Uhr betrat der Täter die Filiale und hielt sich zunächst im Verkaufsraum auf. Als sich die Mitarbeitenden kurz darauf im hinteren Bereich der Filiale aufhielten, folgte ihnen der Mann und forderte unter Vorhalt eines Messers die Herausgabe von Geld. Er griff sich einen mit Bargeld gefüllten Beutel und flüchtete anschließend zu Fuß.“

Die Kaufland-Filiale. Symbol-Foto: Peter Arnegger

Er ist jung, arbeitslos, kann aber gut Deutsch

Offenbar konnte der mutmaßliche Täter, zunächst unbekannt, ermittelt werden. Denn seit Montagmorgen steht ein 22-Jähriger vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Rottweil. Dort muss er sich für die Tat verantworten. Für ihn ist ein Dolmetscher da, er benötigt ihn aber kaum. Der junge Mann spricht fließendes Deutsch, kann sich mit den Prozessbeteiligten verständigen. Etwa über seinen genauen Geburtstag. Der ist von Amts wegen auf einen ersten Januar festgelegt worden – wie für viele Afghanen, die ohne Dokumente in Deutschland angekommen sind, wie der Dolmetscher erklärt.

Die Tat, laut Anklage

So soll sich der Raub abgespielt haben: Zunächst bat er an der Theke der Bäckereifiliale um ein Glas Wasser, das er auch erhielt. Dann schlich er sich in den Personalbereich, wo gerade die Tageseinnahmen gezählt wurden. Dort zog er nach kurzer Unterhaltung ein Messer und forderte das Geld, das in einer Tasche für die Bank bereitlag. Klingenlänge: laut Anklage zehn Zentimeter. Ergibt juristisch einen schweren Raub. Seine Beute: 2700 Euro.

Geständnis

All das räumt der 22-Jährige ein. „Vollumfänglich“, wie sein Anwalt Rasmus Reinhardt sagte. Damit kürzt der Mann das Verfahren deutlich ab. Es wird seitens des Gerichts Detailfragen geben. Denn: Auch bei einem Geständnis findet im Strafrecht in aller Regel eine „normale“ Hauptverhandlung statt; es ersetzt diese nicht, sondern beeinflusst vor allem Beweisumfang und Strafmaß. Ein Geständnis ist nur ein Beweismittel unter mehreren; das Gericht muss den Sachverhalt trotzdem von Amts wegen aufklären und darf sich nicht blind nur auf das Geständnis stützen.

In einer eingangs verlesenen Erklärung verwies der junge Mann am Montag darauf, dass er Drogen genommen habe, Kokain und Crack. Er stamme aus einer bäuerlichen Familie, die in seiner frühen Kindheit in den Iran geflüchtet sei. Er sei zwölf gewesen, als er von dort flüchtete, ergänzt er in einer weiteren detaillierten Befragung durch das Gericht. Die Flucht aus dem Iran fand 2015 statt. Damals seien viele nach Europa geflüchtet. Auf dem Weg zur Schule habe ihn jemand gefragt, ob er auch flüchten wolle. „Die hatten schon alles organisiert.“

Damals habe er das nicht begriffen, aber es ist offenbar ein Schleuser für ihn bezahlt worden. Vom Iran ging es über die Türkei und Griechenland, Serbien und Österreich nach Deutschland. 2016 kam er in München an. Weiter nach Karlsruhe, dann dem Landkreis Rottweil zugewiesen. Schramberg, Dornhan, Dietingen, Rottweil. Der junge Mann war auf der Schule in Villingendorf. Dann noch auf der Erich-Hauser-Gewerbeschule in Rottweil. Dort aber nur zwei Wochen. Später fand er Arbeit in einem türkischen Laden, einem Döner-Imbiss, dessen Betreiber bereits wegen Steuerhinterziehung vor Gericht gestanden hat, sowie bei einem bedeutenden Unternehmen in Rottweil. Und er findet Aufnahme im Fußballverein FV 08 Rottweil – kifft aber offenbar zu viel, um dort Leistung zu bringen.

Es folgten weitere Arbeitsverhältnisse, die auch jeweils nur wenige Monate dauerten. Zwischenzeitlich war er obdachlos. Er vermisse seine Eltern heute, sagt er. Aktuell ist er als Asylbewerber geduldet in Deutschland. Es besteht nach seinen Worten ein Abschiebeverbot nach dem Aufenthaltsgesetz, nach dem ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden kann, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht ist.

Drogengeschichte

In Zimmern ob Rottweil geriet er an einen Drogendealer, erzählt er. Der habe ihn regelrecht angefixt. Einen Monat vor der Tat habe er erstmals Kokain geschnupft. Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer misstraut der Geschichte, glaubt, der 22-Jährige wolle eine Drogenstory aufbauen, um eine geringere Strafe zu erhalten. Doch der Angeklagte beteuert das mit Nachdruck. Mit dem Geld aus dem Raub habe er die Drogen finanziert. Bei seiner Festnahme ein paar Tage nach dem Überfall war die Beute weg. Die Beamten schnappten ihn offenbar, als er gerade wieder sein Arbeitslosengeld holen wollte. Er ist vorbestraft wegen sexueller Belästigung. Hat selbst einen Missbrauchshintergrund, über den vor Gericht öffentlich nur am Rande gesprochen wird.

Bitte um Entschuldigung

Für seine Opfer aus der Bäckereifiliale hatte er Worte vorbereitet: „Ich möchte mich bei Frau … und Herrn … entschuldigen und sagen, dass es mir furchtbar leid tut.“ Er habe einen Teil des Schadens aus der Haft heraus zurückgezahlt, will auch den Rest noch begleichen. Der junge Mann befindet sich derzeit in Untersuchungshaft.

Warum er diese Bäckereifiliale aufgesucht hatte? Er kannte sie. Hatte dort Jahre zuvor einen seiner vielen Jobs. Er hat demnach also frühere Arbeitskollegen überfallen.

Die Tat schildert er grob so, wie in der Anklage beschrieben. Allerdings will er sich eher spontan entschieden haben, die Sicherheitstasche mit den Einnahmen aus der Bäckerei zu schnappen und abzuhauen. Die Flucht habe ihn über den Neckar zum Vinzenz-von-Paul-Hospital und dort weiter Richtung Bühlingen geführt. Er landete in einer Discothek in VS-Schwenningen, gab dort ein paar hundert Euro aus. Und für den Rest kaufte er sich Kokain. Es ist alles weg.

Bis heute traumatisiert: die Sicht der Opfer

Die Frau, die damals beraubt worden ist, leidet bis heute unter der Tat, wie sie sagt. Ihr ist eine psychosoziale Prozessbegleiterin zur Seite gestellt worden. Die 43-jährige Einzelhandelskauffrau aus einer Kreisgemeinde bricht bei der Schilderung der Tat vor Gericht in Tränen aus. Nur mit Mühe kann sie beschreiben, wie der junge Mann das Messer gezogen habe.

Sie muss davon völlig überrascht worden sein, sie habe nichts befürchtet, er war ja ein früherer Arbeitskollege. Und plötzlich überfällt er sie. Nach der Tat war die Frau zunächst arbeitsunfähig. „Es ging mir nicht gut, ich konnte keine Menschen mehr sehen.“ Seither arbeitet sie möglichst nur noch in der Frühschicht und vermeidet es, alleine zu arbeiten. Wochenlang wollte sie auch nicht mehr allein aus dem Haus.

Jetzt, im Gerichtssaal, sei es für sie „erträglich“, aber doch „einfach unfassbar, dass man so etwas durchmachen muss“, sagt sie vor Gericht. Der Vertrauensbruch wiege schwer: „Wir haben uns doch gekannt, waren mal Arbeitskollegen.“ Als der 22-Jährige sich direkt bei ihr entschuldigt, schweigt sie. Nach ihrer Aussage verlässt sie rasch den Gerichtssaal. Draußen nimmt ein Mann sie fest in den Arm. Er war dem Prozess bis dahin aus dem Zuschauerraum gefolgt. Habe so etwas „zum ersten Mal“ erlebt, wie er der NRWZ sagt. Er zeigte im Prozessverlauf ein gewisses Verständnis für die Geldnot des jungen Mannes. Nicht aber für die Tat.

Dem Bäckereifachverkäufer, der damals das Geld gezählt hat, geht das Ereignis glücklicherweise kaum nach. Keine Arbeitsunfähigkeit, keine Schlafstörungen. Der 23-Jährige schildert vor Gericht den Ablauf übereinstimmend mit der Anklage. Der Täter habe „völlig normal“ und nüchtern auf ihn gewirkt, nicht sehr aggressiv, eher schüchtern. Er war auch nicht im Drogenrausch. Er habe das Messer gezogen, die Geldtasche geschnappt und sei abgehauen.

Der Prozess wird fortgesetzt.



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Autor/Quelle:Peter Arnegger (gg)
… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung. 2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ. Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.
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